„Nichts zu tun, wäre der größte Jobkiller“

Tagung „Klima-Arbeit-Armut“ zur sozial-ökologischen Transformation

Die Herausforderungen der ökologischen Transformation lassen sich nicht trennen von großen sozialen Fragen: Ökologie und Soziales gehören zusammen. Wie gestaltet sich dieses Spannungsfeld? Wo liegen die zentralen Herausforderungen? Wie können wir im Angesicht tiefgreifender Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt, im Sozialstaat und im gesellschaftlichen Miteinander handeln? Die Tagung „Klima – Arbeit – Armut – ein (un)auflösbares Dilemma?“ stellte diese Fragen ins Zentrum der Debatte.

Dr. Kathrin S. Kürzinger, Ev. Akademie im Rheinland, und Heike Moerland, Diakonie RWL, begrüßen das Publikum. Bild: Evangelische Akademie im Rheinland

Im Eröffnungsvortrag der Tagung der Evangelischen Akademie im Rheinland, der Diakonie Rheinland-Westfalen-Lippe und des Evangelischen Forums Bonn skizzierte Prof. Jutta Allmendinger, renommierte Soziologin und Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung, ein „Sittengemälde der sozialen Ungleichheit“ in Deutschland. In fünf Dimensionen zeigte Sie lebhaft und eindrücklich auf, wie Bildung, Einkommen, Vermögen, Gesundheit und Wohnen durch eine massive Ungleichheit geprägt werden, die weite Teile der Bevölkerung benachteiligt und nahezu handlungsunfähig zurücklässt.

Armutsbekämpfung sollte Querschnittsaufgabe sein

Prof. Jutta Allmendinger eröffnete die Tagung mit einem Abendvortrag.
Bild: Evangelische Akademie im Rheinland

In einer sechsten Dimension, die Klimagerechtigkeit adressierte, führte Prof. Allmendinger die Erkenntnisse der vielfältigen präsentierten Studien zusammen und unterstrich die Untrennbarkeit sozialer und ökologischer Fragen. Der Klimawandel lasse sich nur dann sinnvoll bekämpfen, wenn soziale Gerechtigkeit geschaffen würde und keine Menschen mehr zurückblieben. Sie wünsche sich daher eine Politik, die Armut als Querschnittaufgabe begreift, diese angeht und dazu breite staatenübergreifende Bündnisse sucht.

Eine detaillierte Zusammenfassung der Kernaussagen von Frau Allmendinger lässt sich im Rückblick der Diakonie RWL nachlesen. 

Engagierte Diskussion mit dem Publikum

Prof. Jutta Allmendinger und Heike Moerland in der Diskussion. Bild: Evangelische Akademie im Rheinland

In welchem Verhältnis steht individuelles Handeln der Bürger*innen und politische Steuerung? Ist das große Engagement der Tafeln nicht eigentlich staatliche Aufgabe? Wäre ein limitiertes Pro-Kopf-CO2-Budget eine Methode zur Bewältigung der Klimakrise? Zu diesen und weiteren Fragen kam Prof. Allmendinger in der anschließenden Diskussion mit Interessierten aus dem Publikum vor Ort im Haus der Evangelischen Kirche in Bonn und im Livestream, den das Evangelische Forum Bonn bereitstellte, ins Gespräch.

Vertiefender Studientag

Fortgeführt wurde diese Diskussion am nächsten Morgen beim anschließenden Studientag, der mit einer anregenden Andacht des Bonner Superintendenten Dietmar Pistorius eröffnet wurde, die sich in der Bußzeit des Advents mit der Frage nach dem eigenen „lau-sein“ auseinandersetzte und so thematisch den Boden für eine (selbst)kritische Diskussion im Folgenden bereitete.

Wie bereits der Abendvortrag von Prof. Allmendinger orientierte sich der Studientag an den Zehn Thesen für einen sozialen und ökologischen Neustart, die federführend von der Diakonie Deutschland entwickelt wurden und mittlerweile von einem breiten Bündnis sozialer und ökologischer Akteur:innen unterzeichnet wurden, zu denen auch die veranstaltenden Institutionen gehören.

Klimaschutz bringt dem Arbeitsmarkt positive Impulse und Herausforderungen

Im ersten Impuls des Tages blickte Dr. Markus Janser, Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) der Bundesagentur für Arbeit, auf die Transformation des Arbeitsmarktes im Angesicht des Kampfes gegen die Klimakrise. Er beschrieb einen klimapolitisch notwendigen hohen Arbeitsplatzstrukturwandel, der sowohl den Aufbau als auch den Abbau von Arbeitsplätzen beinhalte. Deutlich sei jedoch, dass es durch einen auf Klimaschutz ausgerichteten Arbeitsmarkt insgesamt einen positiven Beschäftigungseffekt gäbe. Zentral sei es, jetzt zu handeln, da es um den Erhalt der natürlichen Lebens- und Wirtschaftsgrundlagen und somit um die Existenzsicherung der heutigen und künftigen Generationen gehe und auch arbeitsmarktpolitisch nicht zu handeln, der größte Jobkiller sei.

Doch auch wenn der Klimaschutz insgesamt einen positiven Beschäftigungseffekt hätte, stellen sich in diesem Zusammenhang Herausforderungen, da neue Jobs zum Teil in Berufen entstehen würden, die jetzt schon unter Arbeitskräftemangel leiden. Dies würde bedeuten, dass alle Beschäftigungspotentiale ausgenutzt werden müssten und Entwicklungschancen für bestehende Arbeitskräfte, Auszubildende/Studierende, Wieder- und Quereinsteiger:innen und auch arbeitsmarktferne Gruppen geboten werden müssten. Dabei gelte es, niemanden zurückzulassen und notwendige Schritte zu Hilfen zur Aus- und Weiterbildung, Umschulung, Vermittlung und individuellen Existenzsicherung zu machen.

Menschen im Blick behalten

Kommentiert wurde Dr. Janser von Anne Fennel, Geschäftsführerin der Diakonie Saar, die den Aspekt unterstrich, Menschen nicht allein zu lassen in der Transformation. Bei allen Veränderungen gelte es, insbesondere die Menschen im Blick zu behalten, die aufgrund von beispielsweise Armutsbetroffenheit aktuell nicht an der Gesellschaft teilhaben. In diesem Zusammenhang sprach sich Anne Fennel für die Umleitung von Ressourcen zur sozialen Sicherung aus und leitete damit zum zweiten Impuls des Vormittags über.

Nachhaltige Umverteilung

Anna-Lena Guske im Gespräch mit Tim Achtermeyer. Bild: Raphael Hausmann, Grüne NRW

Welche Rolle spielt Umverteilung in der sozial-ökologischen Transformation? Diese Frage analysierte Anna-Lena Guske, Referentin sozial-ökologische Transformation der Diakonie Deutschland. Es brauche gesellschaftliche Veränderungen, die eine ökologisch verträgliche Lebensweise und ein neu zu verhandelndes Maß an Wohlstand für Alle ermöglichen, so Guske. Das erfordere die faire Aufteilung der Lasten: Wer mehr Umweltschäden verursache, sollte auch einen entsprechenden Anteil der Kosten tragen. Gleichzeitig müssten soziale und Umweltkosten eingepreist werden.

Darüber hinaus müsse ökologisches Verhalten für alle Menschen möglich werden. Das Existenzminimum sollte daher so gestaltet sein, dass Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen ökologisch nachhaltige Teilhabe möglich sei und Menschen mit sozialen Benachteiligungen und in strukturschwachen Regionen bedarfsgerechte Unterstützungsleistungen erhalten.

Zum Erreichen dieser Ziele brauche es steuer- und ordnungspolitische Instrumente, um bestehende Ungleichheit zu verringern und Lastenausgleich herzustellen. Als Beispiele nannte Anna-Lena Guske u.a. Vermögenssteuern, eine sozialgerechte CO2-Bepreisung und den Abbau umweltschädlicher Subventionen.

Podiumsdiskussion mit politischer Beteiligung

Dr. Markus Janser, Tim Achtermeyer, Heike Moerland, Anne Fennel und Dietmar Pistorius (v.l.n.r.) in der abschließenden Podiumsdiskussion. Bild: Raphael Hausmann, Grüne NRW

War nach jedem der Impulse bereits engagiert im Publikum diskutiert worden, bot sich zum Abschluss des Tages die Möglichkeit, auch den Dialog mit politisch Verantwortlichen zu führen, da Tim Achtermeyer, Vorsitzender der Grünen NRW, die das Ministerium für Wirtschaft, Industrie, Klimaschutz und Energie des Landes Nordrhein-Westfalen verantworten, die Runde der Referent*innen ergänzte. Tim Achtermeyer beschrieb die für ihn zentralen Aspekte der aktuellen Herausforderungen, kommentierte die Ergebnisse des Vormittags aus politischer Perspektive und antwortete engagiert auf die unterschiedlichen Fragen aus dem Publikum. Zum Abschluss entspannte sich so eine angeregte Diskussion um die Frage, was möglich ist und nötig wäre – sowohl im Politischen als auch im individuellen Handeln.

Einig waren sich die Beteiligten in der Notwendigkeit weiterer gesellschaftlicher und politischer Maßnahmen, der Überzeugung, dass diese nur im Zusammenspiel aus Politik und Zivilgesellschaft entstehen können und dem Willen, weiter gemeinsam an den großen Herausforderungen der sozial-ökologischen Transformation zu arbeiten.

  • 16.12.2022
  • Red
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