Prof. Dr. Siegfried Hermle: Zum 80. Jahrestag der Wannseekonferenz

„Für mich am bedrängendsten ist, dass die evangelische Kirche für die Jüdinnen und Juden, die der Synagogengemeinde angehört haben, eigentlich an keiner Stelle wirklich das Wort ergriffen hat – die offiziellen Kirchen. Wenn sie etwas gemacht haben, dann ging es um die Christen jüdischer Herkunft, also um ihre eigenen Mitglieder. Aber für die Jüdinnen und Juden war die evangelische Kirche, um es mal klar zu sagen, letztlich blind.“

Akademiegespräch: Prof. Dr. Siegfried Hermle: Zum 80. Jahrestag der Wannseekonferenz

Dieses Resümee zog der Kirchenhistoriker und Spezialist für kirchliche Zeitgeschichte, Prof. Dr. Siegfried Hermle, in diesem Akademiegespräch anlässlich des 80. Jahrestages der Wannseekonferenz. Das Gespräch führte Kirchenrat Pfarrer Wolfgang Hüllstrung. Er ist in der rheinischen Kirche landeskirchlicher Beauftragter für das christlich-jüdische Gespräch und kooptiertes Mitglied der Studienleitung der Akademie.

Im Mittelpunkt des Gesprächs standen die Haltung und Reaktion der Kirchen auf das sich mit Kriegsbeginn zunehmend radikalisierende Geschehen des Holocaust. Angesprochen wurden sowohl Einordnung der Wannseekonferenz in das Gesamtgeschehen des Holocaust als auch die Haltung der evangelischen Kirche zum Holocaust und ihr konkretes Handeln angesichts der tödlichen Bedrohung der jüdischen Geschwister. Auch Fragen heutiger Erinnerungskultur in Gesellschaft und Kirche kamen zur Sprache.

Rückblick: 20. Januar 1942
In einem Gästehaus am Wannsee treffen sich insgesamt 15 Vertreter der Reichs- und Besatzungsbehörden sowie von SS und Polizei, darunter Reinhard Heydrich, Chef der Sicherheitspolizei und des Sicherheitsdienstes der SS, und Adolf Eichmann, Leiter des sogenannten „Judenreferates“ im Reichssicherheitshauptamt, um die bereits beschlossene Ermordung von Jüdinnen und Juden technisch-bürokratisch zu organisieren. Diese sogenannte „Wannseekonferenz“ steht für den Übergang vom Massenmord an den Juden hin zum Genozid.

Zur Person:
Professor Dr. Siegfried Hermle studierte in Tübingen und München. Er promovierte nach seinem Vikariat 1988 in Heidelberg mit einer Arbeit zum Thema: „Evangelische Kirche und Judenfrage – Stationen nach 1945“ (Betreuer: Prof. Dr. Gottfried Seebass). 1994 habilitierte sich Professor Hermle in Tübingen.Seit 2001 war er bis zu seiner Emeritierung Professor für Kirchengeschichte an der Universität zu Köln. Seine Forschungsschwerpunkte sind kirchliche Zeitgeschichte, württembergische Kirchen- und Kirchenverfassungsgeschichte und das Verhältnis Kirche und Israel.

  • 27.1.2022
  • Hella Blum, Martina Steffen