Rückblick auf die 9. Rheinische Friedenskonferenz

Kritik an einseitig militärischen Lösungsansätzen der Bundesregierung im Russland-Ukraine-Konflikt

Pressemitteilung Nr. 6/2022

Die Evangelische Kirche im Rheinland hatte 2021 beschlossen, sich als Kirche auf den Weg des gerechten Friedens zu begeben. Die Frage nach einer kirchlichen Friedensethik erhielt durch den russischen Angriff auf die Ukraine auf der 9. Rheinischen Friedenskonferenz neue Brisanz.

Der Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland, Thorsten Latzel, hat die Beschlüsse der Bundesregierung zum Krieg in der Ukraine als zu einseitig beurteilt. „Ich kritisiere an diesen Beschlüssen, dass hier alleinig militärische Konfliktlösungen und Perspektiven im Blick sind“, sagte Latzel bei der 9. Friedenskonferenz, die erneut online stattfand. Er sei verwundert darüber, mit welchen weitreichenden sicherheits- und friedenspolitischen Positionen die Bundesregierung in dieser Zeit breche. So habe die Bundesregierung bisherige Positionen zu militärischen Ausgaben, bewaffneten Drohnen oder der Teilhabe an atomarer Abschreckung aufgegeben. Das halte er für grenzüberschreitend, sagte der oberste Repräsentant der zweitgrößten Landeskirche. Es sei nicht klug, solche weitreichenden Entscheidungen in einer „emotional aufgeladenen Krisensituationen“ zu treffen, ohne dass momentan die Notwendigkeit dazu bestehe.

Er halte es auch für problematisch, dass das Sondervermögen von 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr ohne eine Einbettung in weitere in zivile und ökologische Maßnahmen beschlossen worden sei, kritisierte der Präses. Er bezweifle, dass die Höhe der Militärausgaben für mehr Sicherheit sorgen könne. Gerade die Erfahrungen in Afghanistan hätten die Grenzen militärischen Handelns verdeutlicht.

Recht der Ukraine auf Selbstverteidigung

Zugleich stellte Latzel klar, dass er die Unterstützung der Ukraine bei ihrem Recht auf Selbstverteidigung befürworte. Im Bereich der Friedensinitiativen der Kirche habe es Fehleinschätzungen der Bedrohungslage gegeben. Insofern sei es gut, inne zu halten und sich hinsichtlich des Rechts auf Selbstverteidigung neu zu befragen. Der Aufruf, die ukrainische Regierung solle auf militärischen Widerstand verzichten und stattdessen sozialen Widerstand ausüben, sei „eine sehr weitreichende Entscheidung“, sagte Latzel. „Und ich weiß nicht, ob uns als Außenstehende diese Aufforderung tatsächlich zusteht.“ Die Ukraine habe Russland nicht bedroht, sei aber massiver Gewalt ausgesetzt. Es gehe um das Selbstbestimmungsrecht eines Volkes.

Ziel der evangelischen Friedensethik sei die Eindämmung und Überwindung von Gewalt als Mittel der Politik durch eine internationale Friedensordnung, betonte Latzel. In der Ukraine liege aus seiner Sicht ein Fall vor, bei dem es rechtens sei, zur Abwehr von Gewalt mit Gewalt zu intervenieren, um diese einzuhegen. „Hier den Menschen die Möglichkeit zur Verteidigung zu geben, halte ich in dieser Situation für berechtigt.“

Andreas Zumach vom Koordinierungskreis „Sicherheit neu denken“ lehnte die Unterstützung der Ukraine durch Waffenlieferungen hingegen ab. „Der Export von Kriegsgerät verbietet sich grundsätzlich, allzumal in Kriegsgebiet,“ sagte der Journalist und Pazifist. Er halte am Konzept der sozialen Verteidigung fest. Auch in der Ukraine gebe es bereits „kleine gelungene Beispiele“ dafür. So hätten etwa Menschen Straßenschilder abmontiert, um Panzerkolonnen in die falsche Richtung zu lenken. Oder sie seien Panzern unbewaffnet entgegengetreten, um mit den Russen zu verhandeln – zum Teil erfolgreich. Allerdings stimme er mit Latzel überein, dass man den Menschen aus dem sicheren Deutschland heraus keine Ratschläge erteilen könne. „Das müssen die Ukrainer*innen selbst entscheiden.“

Frage der Sanktionen gegen Russland

Latzel sprach sich für die Sanktionen gegen Russland aus, die er für gerechtfertigt halte. Diese seien geeignet die Position von Präsident Wladimir Putin im eigenen Land und vor allem bei seiner Basis der Oligarchen zu schwächen. Zumach zeigte sich hingegen skeptisch hinsichtlich der Wirkung von Sanktionen. Die Sanktionen, die die USA und die EU seit 2014 nach der Annexion der Krim und der russischen Unterstützung der Separatisten im Donbass verhängt hätten, hätten Putins Ukraine-Politik nicht verändert. Selbst wenn die Sanktionen den Sturz Putins durch die eigene Bevölkerung zur Folge hätten, sei dies keine tragfähige Lösung, gab Zumach zu bedenken. Es gebe in Russland keine gut organisierte demokratische Opposition. „Wenn Putin gestürzt wird, könnten Kräfte an die Macht kommen, die noch viel problematischer sind.“

Zugleich zeigte sich Zumach überzeugt: „Dieser Krieg ist der Anfang vom Ende der Ära Putin.“ Putin werde die Ukraine nicht unter Kontrolle bekommen. Er erinnerte daran, dass es auch in Russland Widerstand gebe: „Die Menschen, die aufstehen in Russland unter massiver Gefahr verhaftet oder umgebracht zu werden, sind die wahren Held*innen des Konfliktes. Die müssen wir unterstützen.“

Sicherheit neu denken

Einig waren sich Latzel und Zumach darin, dass Sicherheit in Europa künftig neu gedacht werden müsse. „Angesichts der drohenden ökologischen Katastrophe wäre es notwendig, Sicherheit neu zu definieren und bisherige Bahnen des Denkens kritisch zu hinterfragen“, forderte Latzel. Zumach warb für eine „ökologische Energiekooperation“ mit Russland, die von „höchster friedenspolitischer Bedeutung“ sei. Es liege im Interesse Europas, Russland dabei zu unterstützen, aus der Abhängigkeit seiner Ökonomie von fossilen Energien herauszukommen. Andernfalls bestehe keine Chance, die Pariser Klimaziele zu erreichen.

Im Anschluss an die Debatte votierten die Teilnehmer*innen einstimmig dafür, der Kirchenleitung zu empfehlen, der Initiative ‚Sicherheit neu denken‘ beizutreten. Die Initiative, die auf die Badische Landeskirche zurückgeht, stellt die zivile Konfliktbearbeitung und Gewaltfreiheit in den Fokus.

Claudia Rometsch

  • 3.3.2022
  • Red
  • Red