Afghanistan-Experte: Deutschland muss humanitäre Hilfe fortsetzen

epd-Landesdienst West, Nr. 68 | 06.04.2021

epd-Gespräch: Claudia Rometsch

Bonn, Koblenz (epd). Trotz begrenzter Möglichkeiten sollte Deutschland Afghanistan nach Ansicht von Jörgen Klußmann auch künftig humanitär unterstützen. „Wir müssen allerdings realistisch sein, was die Möglichkeiten von außen angeht“, erklärte der Studienleiter der Evangelischen Akademie im Rheinland dem Evangelischen Pressedienst (epd). „Ich sehe zum jetzigen Zeitpunkt keinen Lichtblick für Afghanistan“, sagte Klußmann im Vorfeld seines Vortrags zum Thema „Afghanistan 2022. Die humanitäre Lage“ am Mittwoch im „Forum Friedens- und Sicherheitspolitik“ der Landeszentrale für politische Bildung in Koblenz. Dennoch sollte sich Deutschland weiterhin großzügig zeigen und Mittel für die humanitäre Hilfe zur Verfügung stellen.

Die Bundesregierung hatte bei der internationalen Geberkonferenz für Afghanistan in der vergangenen Woche zusätzliche 200 Millionen Euro für humanitäre Hilfe zugesagt. Nach Angaben der Vereinten Nationen sind etwa 23 Millionen Menschen in Afghanistan von einer akuten Hungersnot bedroht. Das Land benötige knapp vier Milliarden Euro an humanitärer Hilfe.

Die Versorgungslage der Menschen sei bereits vor der Machtergreifung der Taliban durch die Konflikte im Land, Dürre und die Corona-Pandemie schlecht gewesen, sagte Klußmann, der das Land in der Vergangenheit mehrfach als Referent für systemische Konfliktbearbeitung bereiste. Nun sei es für die Bevölkerung noch schwerer geworden, an Nahrungsmittel oder Medikamente zu kommen. Hinzu komme die derzeitige weltweite Verteuerung von Lebensmitteln. „Wenn die Preise noch weiter steigen, könnte es sein, dass Hungeraufstände die Folge sind“, sagte Klußmann. Proteste gegen die Taliban waren in der Vergangenheit blutig niedergeschlagen worden.

„Deutschland muss weiterhin Geld zur Verfügung stellen, weil wir viele Jahre in dem Land aktiv waren“, forderte Klußmann. Allerdings sehe er große Probleme bei der Verteilung der Hilfsgüter. Die Bundesregierung hatte angekündigt, darauf zu achten, dass die Taliban keinen direkten Zugriff auf Hilfsgüter und Gelder haben. Der Plan, die Hilfsgüter direkt durch die Hilfsorganisationen verteilen zu lassen, sei der einzig denkbare Weg, sagte Klußmann. „Die Frage ist, ob das durchsetzbar ist.“ Dafür zu sorgen, dass die Hilfe tatsächlich bei der bedürftigen Bevölkerung ankomme, sei auch eine gewaltige logistische Aufgabe. „Letztlich wird man nicht daran vorbeikommen, mit den Taliban zu verhandeln“, sagte Klußmann.

Angesichts der begrenzten Einflussmöglichkeiten von außen müsse man aber auch „ein Stück weit an die Eigenverantwortung der Menschen appellieren,“ riet Klußmann. Es sei bereits in der Vergangenheit ein Fehler gewesen, das Land in dermaßen große internationale Abhängigkeit zu bringen. Einen Weg aus der Krise könne es nur dann geben, wenn die Menschen auch selbst aktiv würden. „Das ist natürlich unter den derzeitigen Bedingungen sehr schwer. Aber es ist nicht ausgeschlossen.

“Klußmann studierte Afrikanistik, Politologie und Islamwissenschaft sowie die Sprachen Arabisch und Kiswahili. Er arbeitete als Journalist unter anderem für die Deutsche Welle und den Deutschlandfunk, weitere Stationen waren die Stiftung Entwicklung und Frieden, die Carl Duisberg Gesellschaft und die Fachstelle Eine Welt Medien beim Gemeinschaftswerk Evangelischer Publizistik (GEP). Seit 2004 ist er Studienleiter an der Evangelischen Akademie im Rheinland in Bonn.

Quelle: Evangelischer Pressedienst (epd) West 

Abdruck mit freundlicher Genehmigung des epd-West

 

  • 7.4.2022
  • Red
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