Helfen zum Sieg der Freiheit

Die Ukraine führt einen Krieg um die eigene Existenz und die Freiheit. Sie muss ihn gewinnen

Jörgen Klußmann

Als das ostdeutsche Regime der DDR 1989 in sich zusammenfiel, war das auch eine Sternstunde der protestantischen Kirche. Schließlich hatte die evangelische Kirche in der DDR eine bedeutsame Rolle bei den friedlichen Protesten gespielt und maßgeblich zu einem gewaltlosen Ende des sozialistischen Experiments auf deutschem Boden beigetragen. Der Freiheitskampf aber, den die Ostdeutschen (gegen das eigene Regime) geführt hatten, wurde dabei seltsamerweise nicht nur bei den Protestanten, sondern auch in der öffentlichen Wahrnehmung nicht wirklich als solcher verstanden. Vielmehr schien es wichtiger zu sein, dass Deutschland endlich wiedervereinigt war.Bis heute wird das Ringen der Ostdeutschen und anderer osteuropäischer und ehemaliger Sowjet-Völker um eben diese Freiheit meiner Ansicht viel zu wenig im Westen gewürdigt und anerkannt, geschweige denn verstanden. Leider trifft dies auch auf den aktuellen Freiheitskampf der Ukrainerinnen und Ukrainer gegen die russischen Aggressoren zu. In den Verlautbarungen der Kirchen wird zwar immer wieder hervorgehoben, dass man das Recht der Ukraine auf Selbstverteidigung unterstütze und bereit sei, Hilfe zu leisten. Doch dass es sich dabei um einen Freiheitskampf gegen einen ausländischen Aggressor handelt, der mehr als nur irgendeine bewaffnete Auseinandersetzung ist und effektiv nur mit Angriffswaffen geführt werden kann, mit dieser Erkenntnis tut man sich bis heute schwer.

Russischer Imperialismus

Während es in weiten Teilen der intellektuellen Elite hierzulande und auch in großen Teilen der Kirche en vogue war und ist, sich kritisch mit den USA und ihrer – zugegeben – imperialen Politik der letzten 70 Jahre auseinander zusetzen, wurden der russische Imperialismus und die in Russland begangenen Menschenrechtsverletzungen und systematischen Verfolgungen von Oppositionellen weitgehend ausgeblendet. Kaum ein Wort zur zunehmend aggressiven russischen Propaganda oder gegen die zahlreichen völkerrechtswidrigen Angriffe gegen die russische Teilrepubliken war zu hören – bis jetzt, in der aktuellen Situation.

Doch auch in der Beurteilung der gegenwärtigen Lage wird auf den Freiheitskampf der Ukraine kaum eingegangen. Eingestanden wird lediglich, dass die Ukraine ein Recht auf Selbstverteidigung hat. Doch wie dieses Recht verteidigt und durchgesetzt werden soll, in dieser Frage herrscht Uneinigkeit und Unklarheit. Seltsam zweitrangig erscheint dabei die Sorge um die Ukrainer*innen selbst zu sein und was sie für Hilfe von uns fordern.

Dabei haben sich über die Jahre auch deutsche Protestanten immer wieder ausdrücklich für eine rechtsstaatlich-freiheitliche demokratische Ordnung ausgesprochen, selten so deutlich wie z.B. in der Erklärung des EKD-Rates „Zum Verhältnis von Christentum und politischer Kultur“ von 1997, in der ausdrücklich jede Form des Totalitarismus verurteilt wird. Auch die Denkschrift der EKD „Demokratie und Kirche“ von 1985 betont die Bedeutung von Rechtsstaatlichkeit, Partizipation und freiheitlicher Ordnung als Grundkonstanten einer aufgeklärten, pluralen Gesellschaft. Eine „Kirche der Freiheit“ müsse man sein, forderte 2006 ein Impulspapier der EKD, um sich den Herausforderungen des neuen Milleniums zu stellen. Heute scheint dagegen nicht so sehr die Frage zu sein, wie wir der Ukraine gegen die totalitäre und neoimperialistische Invasion Russlands tatsächlich helfen können und was dafür tatsächlich nötig ist, sondern vielmehr, was wir verantworten können, der Ukraine zu geben.

Es ist verständlich, dass man sich schwer damit tut, eine gewaltlose Grundeinstellung, die ja eine der zentralen christlichen Kernbotschaften ist, zu relativieren. Dass realpolitisch der Freiheitskampf der Ukraine nur durch militärische Gewalt ähnlich wie damals Hitler und sein Drittes Reich zu Fall gebracht werden kann, wird nicht akzeptiert. Ebenso wenig, dass weder von der russischen Bevölkerung ein Ende dieser Politik erzwungen werden kann, geschweige denn von großen Teilen der Bevölkerung gewollt wäre. Des Weiteren wird verkannt, dass, wenn Putin diesen Krieg gewinnen oder auch nur ein Waffenstillstand erzielt würde, die gesamte völkerrechtlich basierte Friedensordnung weiterhin auf dem Spiel stünde. Ein Neuanfang mit ihm kann nur schwerlich gelingen. Die Ukraine muss also diesen Krieg gewinnen und das heißt, dass es ihr gelingen muss, die russischen Truppen aus dem Land zu vertreiben – nicht mehr und nicht weniger. Dafür braucht sie aber die Versorgung mit Angriffswaffen, wie z.B. Kampfpanzern. Denn erst, wenn Putin und sein Machtapparat erkannt haben, dass sie den Krieg nicht gewinnen können, werden sie einlenken.

Doch nach wie vor wollen der russische Präsident und seine Clique ihre hegemonialen und imperialen Interessen durchzusetzen sowie Europa spalten und ihr autoritäres politisches System absichern. In Russland selbst ist das nahezu gelungen. In Belarus scheint dies ebenfalls der Fall zu sein. Vordergründig argumentiert Russland mit einer Bedrohung durch die NATO und des Westens. Dass diese Bedrohung vom russischen Staatsapparat subjektiv so empfunden wird, mag sein. Doch einer unabhängigen Überprüfung der Fakten hält diese Bild nicht stand. Vielmehr ist es konstruiert und gehört zur Staatspropaganda in den russischen Medien unter Putin.

Alles oder Nichts

Für die Ukraine geht es in diesem Kampf um alles oder nichts. Seit mehr als 100 Jahren hat sie immer wieder um die Unabhängigkeit gekämpft und bereits zahlreiche Opfer dafür gebracht. Stalin schreckte dabei sogar nicht davor zurück, an den widerspenstigen Ukrainerinnen und Ukrainern Völkermord zu begehen. Erst sehr viel später wurden diese Verbrechen als „Holodomor“ bekannt und sogar vom späteren russischen Staat anerkannt. Doch es sollte noch lange dauern, bis mit dem Zerfall der Sowjetunion auch die Ukraine endlich ihre Unabhängigkeit erhielt. Aber selbst das hielt Russland nicht davon ab, sich weiter in die ukrainische Innenpolitik einzumischen. Die orangene Revolution von 2004 und später 2014 die Maidan-Revolution waren unmittelbare Folgen und Ausdruck des Protestes gegen diese Einmischung. Russlands Antwort darauf waren die Annexion der Krim und die Unterstützung der „Separatisten“ im Donbass. Der Wiederstand dagegen aber ließ die ukrainische Zivilbewegung weiter an Kraft und Stärke wachsen, unabhängig von einem Staat, der bis heute unter Korruption und Partikularinteressen zu leiden hat. Heute ist es eben vor allem diese Zivilbewegung, die energisch Widerstand gegen Russland leistet und uneingeschränkte Waffenlieferungen des Westens fordert. Die Ukraine wird diesen Kampf bis zum bitteren Ende führen, sofern sie dazu von uns in die Lage versetzt wird.

Für uns im Westen geht es darum, die in den völkerrechtlich bindenden Verträgen gemachten Zusagen einzuhalten und der Ukraine beizustehen und ihre territoriale Unversehrtheit zu garantieren, wie es u.a. im Budapester Memorandum von 1994 festgelegt wurde. Damals trat die Ukraine ihre Atomwaffen an Russland ab und erhielt dafür umfangreiche Garantien für die eigene Souveränität und territoriale Integrität von Russland und auch vom Westen. Darüber hinaus geht es auch die Aufrechterhaltung einer völkerrechtlich basierten Friedensordnung und das Selbstbestimmungsrecht der Völker. Es geht darum, dass auch in Zukunft an den Außengrenzen der EU kein Aggressor steht, der dieses Recht fortwährend infrage stellt. Und last but not least geht es darum, den Freiheitswillen der osteuropäischen Völker anzuerkennen und ihnen dieselben Rechte zuzugestehen, wie uns selbst, nämlich in einer offenen und freien Gesellschaft zu leben, in der sich jeder selbst verwirklichen kann. Für die Debatte in Deutschland und insbesondere in den Kirchen wünsche ich mir, dass dies endlich in voller Gänze verstanden und akzeptiert wird. Nur so kann es wirklich einen echten gerechten Frieden und wieder eine Garantie auf Sicherheit und internationaler Zusammenarbeit mit Russland geben.

Abdruck mit freundlicher Genehmigung von https://www.zeitzeichen.net

Der Artikel wurde am 8.2.2023 hier veröffentlicht.